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Heart of Code @Beirut


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08. Türchen

Es gibt diese Tweets, die man nie abschickt. Der Grund dafür ist ja häufig, dass einem nicht ganz klar ist, was man eigentlich sagen will. Einer dieser Tweets, die wir in Beirut nicht abgeschickt haben, sollte eine Frau aus Abu Dhabi zitieren, die mit uns an einer alternativen Stadttour teilgenommen hat. Ihr Blick fiel auf den Beutel von Cat und ihr Kommentar war: „What means ‚fight for your digital Rights‘?“ Und Cat so: „That means Fight for your digital Rights. Like Human Rights.“ Die Frau dann: „Ok. Yeah. But what does that MEAN?“

Und der Grund, weshalb dieser Tweet niemals losflog war, dass wir uns wahrscheinlich nicht einig waren, was uns diese Situation sagen sollte. Und wie die Frau die Frage meinte. War es zu absurd, über digitale Rechte nachzudenken, weil unsere Daten, und das fügte sie selbst an, doch mittlerweile jegliche Lebenssituationen von uns preisgeben und bei sämtlichen Unternehmen und Regierungen dieser Welt landen? Oder war ihr überhaupt nicht klar, dass es die Möglichkeit, über digitale Rechte zu verfügen, überhaupt gibt? Beide Versionen stünden stellvertretend für die Rolle, die das Internet im Libanon zu spielen scheint. Etwa die Hälfte der Bevölkerung vom Libanon ist auf Facebook, aber die Freie Rede dort wird immer weiter eingeschränkt. Menschen haben uns erzählt, dass sie in sozialen Netzwerken nicht mehr alles sagen, andere Personen nicht mehr markieren, um niemanden in Schwierigkeit zu bringen. Dass sie Selbstzensur betreiben, weil sie nicht sicher sind, worauf die Regierung anspringt. Immer mehr haben Angst, dass es ihnen so gehen könnte wie dem Autor Mustafa Sbeity, der seit dem 27. November im Gefängnis sitzt, weil er die Jungfrau Maria beleidigt hat.

Wir haben uns mit der libanesischen NGO Social Media Exchange (SMEX) getroffen, die sich für ein freies und diverses Internet einsetzt und auch auch auf den Fall aufmerksam gemacht hat. Der Status Quo im Libanon ist, dass es kein Gesetz gibt, das die Freie Rede im Internet reguliert oder sogar schützt. Es gibt lediglich den Penal Code. Der listet Sprachverstöße auf, die mit Haftstrafen belegt sind und macht damit nicht mehr, als die freie Meinungsäußerung in Sozialen Netzwerken zu kriminalisieren. SMEX setzt sich dafür ein, dass dieser Bereich zivilrechtlich geregelt wird. Und die Arbeit, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen, ist extrem interessant.

Aber es gibt auch eine andere Seite: Wir haben Beirut als einen ziemlichen Melting Pot erlebt, in dem neben den Leuten von SMEX noch unheimlich viele inspirierende Menschen aktiv sind. Journalisten, die Tech-Aktivisten beherbergen (wie uns) oder ein feministisches Kollektiv, das solidarisch wirtschaftet und großartige Projekte wie die Sexuality Hotline betreibt. Arabisch sprechende Frauen und Transmenschen können dort anrufen, um Hilfe oder Informationen zu sämtlichen Themen zu bekommen, die mit Sexualität zutun haben – Verhütung, Selbstbefriedigung, Schwangerschaft(sabbruch) – alles.

Um ehrlich zu sein: wir fanden Beirut krass. Vielleicht lags am vielen Wein, am Halloumi auf Hummus, Kichererbsen- oder Auberginenpaste mit Fatoush, vielleicht an den lauten, nach Abgasen riechenden Straßen, den vielen verlassenen und zerfallenen Kolonialhäusern zwischen den neu gebauten Wolkenkratzern. Oder dem Umstand, dass es uns schwer fiel zu verstehen, wie diese Gesellschaft aus christlichen, schiitischen und sunnitischen Gruppen nach all den Krisen- und Aufbauzeiten zusammenlebt. Aber wir würden doch die Theorie wagen, dass Beirut nicht nur die perfekte Stadt ist, den mittleren Osten etwas besser zu verstehen. Sondern auch, dass man dort besonders anschaulich erleben kann, wie Menschen ihr Verhalten im Internet verändern und wie um Regulierung und Deutungshoheit gerungen wird.

Wir haben in Beirut gemütliche Abende mit sehr herzlichen Menschen und bereichernden Diskussionen verbracht. Wir hoffen, dass wir möglichst viele dieser Aktivistinnen und Aktivisten wieder treffen, dass Menschen, die das Schicksal von Mustafa Sbeity teilen das Gefängnis wieder verlassen können und sich ihre Stimme nicht verbieten lassen. Und dann hoffen wir noch, dass wir das nächste Mal nicht wieder eine Gelegenheit wie die Gender-Tech-Konferenz verpassen, die nur knapp vor unserer Anreise stattgefunden hat… was für eine schöne Gelenheit hätte das sein können, einen feministischen Hackspace zu gründen ♡

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Woooow!

Wir sind immer noch ganz geflasht von all der Unterstützung!

Vielen vielen Dank an alle Spender*innen, die dafür gesorgt haben, dass wir bald eine 3D-Druckerin im Baumschiff begrüßen dürfen, und sie fleißig mit Filamenten füttern können!

Und auch die Lötstation zieht bald ein und wir bekommen einen Seilzug!

Wahnsinn!

Voll das verfrühte Weihnachten hier in der Heart of Code!

Für die Adventszeit sind alle unsere Wünsche erfüllt - aber wir freuen uns auch über weitere stetige Unterstützung, z.B. mit einer Fördermitgliedschaft

Oder kommt mal im Baumhaus vorbei und werft N=randomInt(1,10000) Bitcoins (in bar) in unsere Spendenbüchse.


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